- 138 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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Hälfte der Messdauer leicht (aber nicht signifikant) erhöht. Eine Interpretation dieser im Zeitverlauf gleich bleibenden EMG-Werte im Sinne der Annahme, dass der Habituationseffekt aufgrund der großen Vertrautheit mit dem Vorstellungsinhalt bereits irgendwann vor der Versuchsdurchführung aufgetreten war, kommt nicht in Frage, weil die elektromyographische Aktivität in den Kehlkopfmuskeln z. B. beim Vorstellen von zuvor gehörten unvertrauten Musikstücken nicht höher ausfiel (siehe Kapitel 11.1 auf Seite 119). Vielmehr sprechen die Ergebnisse auch hier wieder für eine verdeckte stimmliche Simulation der Vorstellungsinhalte.

Da die Messdauer erst im Nachhinein in zwei Hälften unterteilt wurde, handelt es sich hier streng genommen nicht um eine Messwiederholung (im eigentlichen Sinne). Eine Wiederholung der Messung hätte aber vermutlich auch nicht zu einem anderen Ergebnis geführt.

16.3.  Klangvorstellung nach Noten

Bei den Aufgaben zur Klangvorstellung nach Noten zeigte sich hinsichtlich der elektromyographischen Werte der Musiker weder ein Unterschied zwischen erster und zweiter Hälfte der Messdauer noch zwischen Vertrautheit und Komplexität der Notenbeispiele. Das Ausbleiben eines Habituationseffektes unterstützt einmal mehr die Simulationstheorie.

Die Ergebnisse dieses Versuchs weisen auch daraufhin, dass die Kehlkopfbewegungen nicht auf ein inneres Sprechen von Liedtexten zurückgeführt werden können. Abgesehen von Händels »Hallelujah« konnten mit den Notenbeispielen keine Liedworte assoziiert werden. Weder der Vergleich der EMG-Werte beim Vorstellen der vier Notenbeispiele untereinander noch der Vergleich der oben verwendeten Vokalwerke (Bach, Brahms, Berg und Schubert) mit den Notenbeispielen offenbarte einen signifikanten Unterschied. Ein Zusammenhang zwischen Kehlkopfbewegungen und Liedtext kann hier also praktisch ausgeschlossen werden.

Die Notenbeispiele unterschieden sich stark untereinander. Die bekannten Notenbeispiele (»Bolero« und »Hallelujah«) waren rhythmisch anspruchsvoller als die ruhige Akkordfortschreitung der Kadenz (Notenwerte: Halbe Noten) und die überwiegend in Vierteln gehaltene einstimmige unbekannte Melodie. Da sich die EMG-Werte bei den Notenbeispielen untereinander nicht unterschieden, ist zu vermuten, dass die Variablen Vertrautheit und Komplexität in keiner Beziehung zur Stärke der Kehlkopfbewegungen stehen. Hier sei allerdings auch auf die in Kapitel 16.1 auf Seite 136 vorgebrachten Argumente zur Schwierigkeit der Operationalisierung der Vertrautheit und Komplexität von Vorstellungsinhalten verwiesen. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass immerhin 42 % der Versuchspersonen (Musiker) das »Hallelujah« aus Georg Friedrich Händels Messias und 14 % den »Bolero« von Maurice Ravel nicht nach Noten identifizierten. Dies wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis die motorischen Prozesse zur Qualität der Klangvorstellung stehen könnten. Diese wird im übernächsten Kapitel aufgegriffen.


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