- 100 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Gerade aber die Verwendung von Transpositionen ermöglicht erst jene Beweglichkeit der Zwölftontechnik, sich jedem gewünschten Verlauf nahezu gänzlich anzupassen; - nicht umsonst mußte Möllers bei seinem Experiment zur Demonstration reihentechnischer Flexibilität für jeden Takt eine andere Transpositionsstufe und eine andere Reihenform verwenden.


Und ein zweites fällt an der spezifischen Form der Reihenverwendung Adornos auf: Im ersten der beiden Lieder kommt Adorno, was die Singstimme betrifft, gänzlich ohne das Mittel der Reihenbrechung aus - sie ist eine bloße Folge von Grundreihe und Krebs (wobei letzter Ton der Grundreihe zugleich der erste des Krebses ist), sodann (nun ohne Tonverschränkung) von Krebsumkehrung und (nun wieder mit Verschränkung angebunden) einfacher Umkehr -; die Klavierbegleitung des Lieds tendiert überwiegend dazu, jeweils drei zusammenhängende Reihentöne zu Akkorden zusammenzufassen - die Idee der Komplementärharmonik in Reinform. Das zweite Lied hingegen ist eine starre Mischung der beiden Verfahrensformen: Die Reihe ist in drei viertönige Segmente unterteilt, die zwar gelegentlich - in Abweichung von der strengen Handhabung - in sich permutiert sind, ansonsten aber jeweils blockhaft auf Singstimme und Klavier verteilt wurden (eine Viertongruppe ist immer als Ganzes entweder der Singstimme oder der Begleitung zugeordnet - auch hieraus resultiert wiederum Komplementärharmonik.) Daß ein und dieselbe horizontale Stimme bisweilen von Ton zu Ton sich aus unterschiedlichen Segmenten zusammensetzt bzw. einen Reihenton an eine andere horizontale Stimme oder die Begleitung abgibt (wie beispielsweise mehrmals im Streichquartettbeispiel), kommt bei Adorno nicht vor.


Auf der anderen Seite ist aber gerade die relativ freie Handhabung der Verteilung der Reihentöne auf die Horizontale und die Vertikale jenes Prinzip, das es Schönberg ermöglichte, den Zwängen der Zwölftontechnik ein dennoch freies Gestalten abzuzwingen, einer Zwölftontechnik, die, wie sich - allerdings nur andeutungsweise - bei der Analyse der zwei Streichquartett-Takte gezeigt hat, auch - wozu wurde sonst die zwölftontechnische Kröte geschluckt - sich als ein Mittel erwies, um die kompositorische Phantasie anzuregen.


An dieser Stelle sei die Auseinandersetzung mit Adornos Kritik der Zwölftontechnik, soweit sie sich in der "Philosophie der Neuen Musik" niederschlägt, abgebrochen; daß von diesem Punkt aus selbstverständlich weitergegangen werden könnte, braucht kaum eigens betont zu werden - lediglich die Richtung sei angedeutet. So wie exemplarisch an der Dimension der Harmonik ausgeführt, könnte Adornos Kritik der Zwölftontechnik für die weiteren Dimensionen, in denen er sie entfaltet, auf ihre Stichhaltigkeit untersucht werden; weiters wäre die Wechselwirkung der Dimensionen zu bedenken, also die Frage ihrer Substituierbarkeit 51); von dort aus wäre auf die Ebene der eigentlichen methodischen und philosophischen Kritik vorzudringen, also zu Fragen, die Adornos Verhältnis von spekulativem, deduktivem und induktivem Vorgehen betreffen (einschließlich der Frage, inwieweit eine Kritik, bezogen allein auf den deduktiven Anteil seines Denkens, der Materie überhaupt gerecht wird); zu behandeln wäre die Rolle, die der Begriff der Authentizität spielt, die die Schönbergschule im Unterschied zum Neoklassizismus Adorno zufolge durch Versenkung


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