- 164 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (163)Nächste Seite (165) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



Kolisch und Steuermann über Neue Musik und Interpretation; 1955 und 1956 analysierte er die Musik Schönbergs; 1957 trug er eine Neufassung der Kriterien vor; 1961 hielt er zwei Vorträge mit dem Titel Vers une musique informelle; 1965 nahm er an dem Kolloquium über Form teil; 1966 hielt er drei Vorlesungen über Die Funktion der Farbe in der Musik.


Der Aufsatz Das Altern der neuen Musik 4) ist allerdings die erste Stellungnahme Adornos zur musikalischen Situation der Nachkriegszeit: Es ist eine vehemente Kritik an der postschönbergschen dodekaphonischen Schule und dem seriellen Komponieren. In dieser Kritik nennt aber Adorno weder konkrete Werke noch bezieht er sich auf satztechnische Aspekte, an denen sich seine Kritikpunkte verifizieren oder zumindest diskutieren ließen. Er zieht vielmehr die Folgerungen aus Entwicklungstendenzen der Musik, die bereits in der Philosophie der Neuen Musik vorgezeichnet waren. Insofern kann dieser Aufsatz als Beispiel höherer Kritik gelten. Als solche trägt er aber ihren immanenten Widerspruch in sich: Einerseits sind die Adornoschen Überlegungen eine klarsichtige Analyse der geistigen Situation und der Gefahren, denen die Musik der Nachkriegszeit ausgesetzt war; andererseits verfällt seine Kritik nicht selten in Verallgemeinerungen und Pauschalurteile, die die Schärfe der Beobachtungen beträchtlich einschränken. Adorno kritisiert die integrale Rationalisierung und den mit ihr zusammenhängenden Primat der Technik über das formbildende Vermögen des Subjekts; er attackiert den Materialfetischismus und das Fehlen an Sinnzusammenhängen in der seriellen und aleatorischen Musik. Vor allem aber vermißt Adorno in diesen Kompositionen das, was das Neue in der Neuen Musik ausmachte: Die Radikalität eines musikalischen Ausdrucks, der der existierenden Welt seine Fremdheit, seine Andersartigkeit auszusprechen vermochte.


Diese drastische Kritik, die außerdem eine Übereinstimmung von ästhetischer Haltung und Tendenzen der spätindustriellen Gesellschaft feststellt, ist jedoch von keiner näheren Betrachtung der seriellen Musik und ihrer Verfahren gestützt. Das gab Heinz-Klaus Metzger den Anlaß zu einer Polemik, die mit dem Titel Das Altern der Philosophie der Neuen Musik in dem vierten Band der "Reihe" (1958) erschien. Der Titel dieser Erwiderung kann aber zum Mißverständnis führen. Es ist nicht die Philosophie, die angegriffen wird, sondern die empirische Tatsache, daß Adorno seine Kritik in Unkenntnis der Schlüsselwerke der seriellen Musik verfaßt hatte. Objekt der Polemik war also der Mangel an konkreten Quellen und nicht die philosophische Position, über deren Voraussetzungen sich Metzger und Adorno einig waren. Die Kontroverse löste sich in einer doppelten Konvergenz auf. Adorno erhielt von einer Reihe von Kompositionen Kenntnis, die er in seinem polemischen Aufsatz außer Acht gelassen hatte. Dieses neue Reflexionsstadium ist in den Vorlesungen über die informelle Musik von 1961 dokumentiert. Seinerseits konnte Metzger die "Kassandrarufe" Adornos nicht länger überhören und 1962 formulierte er eine Kritik an der neuesten Entwicklung, die bereits im Titel, Das Altern der jüngsten Musik, 5) auf den begrifflichen Weg Adornos hinweist.


3. Wenn von informeller Musik die Rede ist, liegt die Annahme nahe, es handle sich um eine Anlehnung der Musik an die zeitge-


Erste Seite (1) Vorherige Seite (163)Nächste Seite (165) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 164 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften