- 184 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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ja Menschen, Zeiten und Probleme wandeln und die alten Lösungen Adornos nicht immer die unseren zu sein brauchen. Das bedeutet: Adornos Gedanken lebendig weiterentwickeln. Wenn die "Überwindung" Adornos so gemeint wäre, dann sage ich Ja.


Zum Vorwurf der Romantik (kann es überhaupt einer sein?): Ich finde viele Werke von Schönberg romantisch, und vieles, was Stockhausen in seinen letzten (Guru-) Jahren komponiert hat, sogar hochromantisch. Ist Ligetis "Atmosphères" (sagt es nicht schon diese Vokabel?) nicht auch romantisch? Romantik als Schlagetot-Vokabel, das geht nicht mehr. Auch der Vorwurf, Adorno sei eigentlich ein Konservativer, ein Eskapist, der aus der Zeit flüchte, kann nicht treffen. Vielleicht waren Adornos Gedanken zum Musikunterricht "Unzeitgemäße Betrachtungen" im Sinne Nietzsches: Dann wäre Adorno ein Konservativer besonderer Art, aber einer, der gleichzeitig progressiv denkt. Ich finde, es macht die Bedeutung eines Denkers aus, daß er die Wurzeln zur Vergangenheit nicht kappt.


D.: Adorno kombiniert zwei Sachen miteinander, die nicht zusammenpassen. Das eine ist die eher politische Kritik an der musischen Bewegung, das andere seine eigene Ästhetik. Es könnte ja sein, daß man diese politische Kritik teilt und trotzdem im Sinne neuerer Pädagogik meint, aus der ästhetischen Analyse eines Werkes folge noch keine pädagogische Zielsetzung. Das heißt, die Erkenntnis des Wahrheitsgehaltes von Kunst ist nicht notwendigerweise das Ziel von Musikpädagogik; denn in die pädagogische Diskussion gehört noch der Schüler mit seinen mehr oder weniger Erfahrungen hinein. Im normalen Unterricht kann ich jedenfalls den Anspruch Adornos überhaupt nicht erfüllen. Ich muß ihn ganz weit herunterschrauben auf einen Punkt, in dem es sehr fraglich ist, ob ich überhaupt noch in der Nähe dessen bin, was Adorno gemeint hat. Denn das Ganze kann sich ohnedies nur bei einem sehr elaborierten Unterricht (wo Notenkenntnisse und Ähnliches eine Rolle spielen) abspielen. Adornos pädagogisches Konzept kann mit der heutigen pädagogischen Diskussion überhaupt nicht aufgefangen werden, da sie sich eher mit dem Schüler beschäftigt als nur mit dem Kunstwerk. Für mich bleibt also die Frage offen: Wie steht es mit der Musik, die die Schüler mögen und welche Rolle soll sie im Unterricht spielen?


Gieseler: Sie spielen natürlich auf die heutige Rockmusik an. Damit konnte Adorno sich nicht mehr auseinandersetzen. Aber es gibt seine Äußerungen über den Jazz. Leider stoßen wir hier bei Adorno ins Leere. Seine Kritik am Jazz wurde veröffentlicht in der Zeitschrift "Merkur" im Jahre 1953 zusammen mit einer Replik von Joachim-Ernst Berendt. Berendt verstand Adorno nicht, Adorno wiederum nicht Berendt. Denn beide verstanden unter Jazz etwas ganz anderes. Adorno hatte das, was man authentische Jazzmusik, eine Spielart afro-amerikanischer Musik nennen könnte, nicht im Blick und nicht im Griff. Seine Kritik wendete sich gegen die kommerzialisierte Musik, d.h. gegen Jazz-Verwässerungen von Paul Whitman oder Gershwin oder gegen einen gewissen Stil von Broadway-Melodien.


Zu Ihrem zweiten Punkt: Adorno schieße, auch wenn man seine Kritik als ästhetisch-politisch motiviert verstehen könne, weit über alle schulischen Möglichkeiten hinaus. Sollen wir nun


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