- 36 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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tischen  Raum des heutigen Weill." 6) Wenngleich in dieser Bemerkung der Bezug von Weills musikalischem "Surrealismus" zu den kompositorischen Verfahren Mahlers nicht explizit entfaltet wird, so läßt sich ihr doch entnehmen, daß Adorno Weill als ebenso legitimen Erben Mahlers sieht wie Berg, daß kompositorische Auseinandersetzung mit der Sinfonik Mahlers auch jenen "gefährlichen surrealistischen Raum" zu öffnen vermag, in dem Adorno Weills Arbeit ansiedelt - oder, anders gesagt: daß demnach in Mahlers Oeuvre Momente enthalten sind, die vorausweisen auf "surrealistisches" Komponieren. über die Tragweite dieser Deutung geben Adornos Besprechungen von Weills "Mahagonny"-Musik Auskunft: "... ihre Faßlichkeit ist ... bedingt allein durch das eigentümliche Material, das gewählt ist: das Verfallene der leichten Musik des neunzehnten Jahrhunderts, dessen Falschheit und Unstimmigkeit hier für die Montage einer Form mobilisiert wird, die einzig aus Bruchstücken eines zerfallenen Wirklichen sich fügt: also ist die Faßlichkeit trügend wie die Mahlers; ... Man kann dies Verfahren gebrochen und intellektuell heißen, ...; mehr noch aber ist zu bedenken, ob dies gebrochene und intellektuelle Verfahren nicht weithin gefordert ist in einer Situation, der das organische und in sich ruhende Kunstwerk so gründlich problematisch ward." 7) Weills "Mahagonny", die "erste surrealistische Oper", ist für Adorno Avantgarde- Musik im strengsten Sinne (hierin den ansonsten konträr entgegengesetzten Arbeiten der Schönberg-Schule gleich) aufgrund ihrer Formkonstruktion: ganz auf dem Prinzip der Montage basierend, bricht die Oper nicht nur mit der Idee des organischen Kunstwerks, sondern kritisiert diese zugleich. Das spezifische musikalische Material, das Weill wählte, verleiht der Komposition eine weitere kritische Dimension: zielt Montage selbst schon auf Kritik und Destruktion des überkommenen Kunstbegriffs, indem sie ein nicht-organisches, konstruiertes Kunst-"Werk" konstituiert - Selbstkritik der Kunst durch Kunst also -, so kritisiert und zerstört die konsequente Anwendung des Montageprinzips auf Fragmente von Trivialmusik den Schein von Ursprünglichkeit, Vitalität und Autonomie, der diesem Material sonst eignet; die bürgerliche Musikkultur und die bürgerliche Gesellschaft, der sie zugehört, werden zur Kenntlichkeit entstellt: sie sind nicht, was sie vorgeben, nämlich lebendige Totalität, sondern bloße Anhäufung zusammenhangloser Trümmer. Die Konstruktion der "Mahagonny"-Musik, "ihre Montage des Toten macht es als tot und scheinhaft evident und zieht aus dem Schrecken, der davon ausgeht, die Kraft zum Manifest." 8) Der kritische Impetus solcher Musik beschränkt sich nicht auf den engen Raum ästhetischer Immanenz, sondern richtet sich auf den Zustand der Gesellschaft; die Kritik, die hier im Medium der Kunst artikuliert wird, ist zugleich eine ästhetische und politische. Adornos wiederum nur flüchtiger Verweis auf Mahler in gerade diesem Zusammenhang ist nicht als zufällig oder belanglos abzutun; an anderer Stelle findet er sich präzisiert: "Ein seltsamer Mahler spielt in die ganze Oper (d.h. "Mahagonny") herein, in ihren Märschen, ihrem Ostinato, ihrem trüben Dur-Moll. Mahler gleich nutzt sie die Sprengkraft des Unteren, das Mittlere zu zerschlagen und des Oberen teilhaftig zu werden. Die Bilder, die in ihr gegenwärtig sind, stürmt sie allesamt, doch nicht, um ins Leere weiterzugehen, sondern um die erbeuteten als Fahnen der eigenen Aktion zu erretten." 9)


Mahler wird hier nicht nur als Vorläufer oder als ungleichzeiti-


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