- 73 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Reinhard Schneider



Strawinsky und Adorno


"Die Geschichtsphilosophen haben die Welt nur verschieden

 verändert; es kommt darauf an, sie zu verschonen; die

änderndste Form des Verschonens aber ist das Interpretieren."

(Marquard, Abschied vom Prinzipiellen, S.120)


Vermittlungsansätze


Es bedarf vorab keiner herbeigesuchten Rechtfertigung, im Rahmen dieses Symposions ein selbständiges Referat den philosophisch angagierten, musikalisch-exegetischen Äußerungen Adornos über Strawinskys Musik zu widmen. Obwohl die Literatur über Strawinsky inzwischen ins Unübersehbare angewachsen ist, bildet der von Adorno beigesteuerte Teil aus zumindest drei Gründen immer noch Anlaß zur Anknüpfung und Auseinandersetzung.


1. Eingebettet in die komplizierte Argumentationsstruktur aus musikgeschichtlichen, kompositionstechnischen, metaphysischen, geschichtsphilosophischen und ästhetischen Erwägungen enthalten Adornos musikalische Schriften so viele analytische Hinweise und grundsätzliche Einsichten über Strawinskys Musik, daß sich ihre Bergung lohnt.


2. Adornos Verstrickungen in die Musik seiner Zeit, seine kompositorische, philosophische und musikanalytische Auseinandersetzung mit dem, was sich in der Musik seiner Zeit tat, machen seine Schriften zu einer historischen Quelle ersten Ranges. Adornos Schriften sind inzwischen selbst Geschichte geworden und bedürfen der historischen Betrachtung.


3. Adornos Äußerungen über Strawinsky sind aber keineswegs nur deshalb interessant, weil sie sich mit einem interessanten Gegenstand beschäftigen. Sie leben zwar in Symbiose mit der Musik Strawinskys, sie leuchten aber keineswegs nur im Licht der Musik Strawinskys - als literarische Spiegelung -, sie haben einen unverlierbaren Eigenwert. Sie haben selbst über weite Strecken Kunstcharakter, sind sprachlich und gedanklich so faszinierend, daß sie Bestand haben könnten, auch wenn es die Musik, die der Gegenstand oder die Veranlassung dieser Schriften ist, gar nicht gäbe, wenn sie Texte über ausgedachte Musik wären. Und oft hat man tatsächlich den Eindruck, als hätte Adorno gar nicht über Strawinskys Musik geschrieben, sondern über die irgend eines anderen Komponisten. Der Vorwurf ist ihm, wohl zu Recht, auch nicht erspart geblieben.


Wer wie Adorno sich derart pointiert über einen Komponisten oder eine bestimmte musikalische Konstellation äußert, fordert seinerseits zur Replik bzw. zur scharfen emotionsgeladenen Kritik heraus. Gerade die Äußerungen und Schriften über Strawinsky haben auch heute noch einen polarisierenden Effekt: Einerseits verlei-


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