- 77 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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"Das geschlossene Kunstwerk ist das bürgerliche, das mechanische gehört dem Faschismus an, das fragmentarische meint im Stande der vollkommenen Negativität die Utopie." 13)


Strawinskys Musik verharrt demgegenüber, trotz ihrer radikalen, innovativen Haltung, "im Schein der Authenzität". Wo nur noch Protest, musikalisch realisierter Einspruch, möglich ist, kehrt sie ein "objektives Gebaren" hervor.


Adorno setzt an diesem Punkt seine kritischen Einwendungen sehr oft an und treibt sie dann in jene spekulativen Höhen, wo sie den Kontakt mit dem kritisierten Gegenstand verlieren. Ein Beispiel: "Ihre Objektivität ist subjektives Arrangement, aufgespreizt zur übermenschlichen apriorisch reinen Gesetzlichkeit; verordnete Entmenschlichung als ordo. Dessen Schein wurde durch eine kleine Anzahl erprobter und unbekümmert um die wechselnde Natur des Anlasses immer wieder durchgeführter Maßnahmen technischer Demagogie hervorgebracht. Alles Werden ist ausgespart, als wäre es die Verunreinigung der Sache selbst. Indem diese der eingreifenden Bearbeitung entzogen ist, prätendiert sie von aller Zeit befreite, in sich ruhende Monumentalität." 14)


Einige Sätze später wird der Objektivismus-Vorwurf noch weiter getrieben: "Der Objektivismus ist Sache der Fassade, weil es nichts zu objektivieren gilt, weil er an keinem wie immer Widerstrebenden sich bestätigt, ein Blendwerk von Kraft und Sekurität." 15)


Adorno operiert mit dem Arsenal seiner kritischen Figuren (man könnte aus der "Philosophie der Neuen Musik" eine Figurenlehre der kritisch-dialektischen Invektiven entwickeln) vor dem Hintergrund der geschichtsphilosophisch abgesegneten Kompositionstechniken der motivisch-thematischen Arbeit und der auf ihrer Grundlage entwickelten Musiksprache. Vor diesem Hintergrund erscheint die Musik Strawinskys lediglich auf Wirkungsmächtigkeit angelegt, lediglich getrickst. Adorno verübelt ihr jede, auch nur kleinste Hinwendung zum Hörer als Verrat.


Die Traditionslinie Beethoven, Brahms, Schönberg und die dort zur Geltung gekommene Art musikalischen Denkens wird verabsolutiert und zum Maßstab der Bewertung Strawinskys gemacht. Auf die Problematik dieses Ansatzpunktes der Kritik Adornos ist des öfteren aufmerksam gemacht worden. Mit seiner Geltung steht und fällt ein großer Teil seiner Einlassungen, denn das Verfahren zeigt überall ähnliche Züge: Ein kompositionstechnischer Sachverhalt ist der Aufhänger. Er wird aus einer bestimmten Position heraus kritisiert (z.B. werden additive Strukturen in Strawinskys Werken aufgedeckt und dann am Maßstab musiksprachlich entwickelnden Denkens gemessen). Die Tendenz der Bewertung schaukelt sich nun auf, sie wird angereichert durch ethische Bewertungen, durch Analogiebildungen zu verschiedensten Bereichen, vornehmlich zur Psychologie, durch das Unterschieben unlauterer Motive. Das Rückgrat dieser zuschlagenden Kritik bildet jedoch ein geschichtsphilosophischer Gedankenstrang, der im Kern von der Annahme einer Geschichte und der Geltung nur einer Leseart von Geschichte ausgeht, die Horkheimer und Adorno in der Dialetktik der Aufklärung entwickelt haben. In der übertragung auf musikgeschichtliches oder ästhetisches Terrain zeigen sich Grenzen


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