- 8 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Aus diesen Hinweisen dürfte deutlich geworden sein, daß zwischen der "Idee des strukturellen Hörens" und dem Begriff der ästhetischen Erfahrung nicht nur eine Strukturgleichheit besteht, sondern daß bereits die Komplexität des Adornoschen Erfahrungsbegriffs in ihr angelegt ist. Bevor diese im folgenden entfaltet wird, möchte ich auf einen Aspekt der ästhetischen Erfahrung eingehen, der zugleich ihre Grenze sichtbar macht: auf ihre Nähe zur metaphysischen Erfahrung. Sie wird vor allem im Spätwerk, der Negativen Dialektik und der Ästhetischen Theorie, thematisch.


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Wie die Philosophie Adornos im ganzen gelesen werden kann als Durchführung des zentralen Motivs der "Rettung des Hoffnungslosen", 10) so tritt in der besonderen Relation zwischen ästhetischer und metaphysischer Erfahrung vor allem jener Gehalt des Motivs in Erscheinung, der in der Konstellation von geschichtlicher Immanenz und metaphysischer Transzendenz auf das Absolute verweist. In den Kunstwerken, die Adorno als "Gestalten der Erkenntnis" bestimmt, ist die Wahrheit der gesellschaftlichen Welt ebenso vermittelt wie die Wahrheit des Transzendenten: "Das Nichtseiende ist ihnen vermittelt durch die Bruchstücke des Seienden, die sie zur apparition versammeln." 11) Daher wird das "authentische" Kunstwerk auch zum Ort metaphysischer Erfahrung.


Daß in der versteinerten, "vergesellschafteten Gesellschaft" die Möglichkeiten für "unreglementierte" Erfahrungen überhaupt und für metaphysische insbesondere zunichte gemacht sind, legt Adorno eindringlich dar in seinen Reflexionen über das "Sterben heute" 12) in den "Meditationen zur Metaphysik". Angesichts dieses Verlustes, dem der "Niedergang der objektiven Religionen" entspricht, sucht Adorno einen Begriff metaphysischer Erfahrung zu gewinnen, welcher "der der Sache selbst wäre". Modell hierfür ist ihm eine bestimmte kindliche Erfahrung. Für das Kind ist es "selbstverständlich", daß alles das, was es an seinem Lieblingsort beglückt, "nur dort, ganz allein und nirgends sonst zu finden sei; es irrt". 13) Gerade an dem Irrtum, um den das Kind noch nicht weiß, wird die Antinomie dieser Erfahrung für Adorno deutlich: "Glück, das einzige an metaphysischer Erfahrung, was mehr ist denn ohnmächtiges Verlangen, gewährt das Innere der Gegenstände als diesen zugleich Entrücktes." In der Paradoxie des Gewährten und zugleich Versagten entzieht sich die "Sache selbst"; sie wird als Negatives erfahren, nicht als etwas, das man "schon hätte", wohl aber als Mögliches. Insofern bleibt die metaphysische Erfahrung an das "Versprechen des Glücks" geheftet - ein Gedanke, der in der Ästhetischen Theorie in radikalisierter Form wiederkehrt. "Die ästhetische Erfahrung", so heißt es dort, "ist die von etwas, was der Geist weder von der Welt noch von sich selbst schon hätte, Möglichkeit, verhießen von ihrer Unmöglichkeit. Kunst ist das Versprechen des Glücks, das gebrochen wird." 14) Die innere Nähe zwischen metaphysischer Erfahrung, die nur noch als negative möglich ist, und ästhetischer Erfahrung ist hier unübersehbar.


Die Kunst reagiert nicht nur auf die zunehmende Verhärtung der Realität, sondern auch auf den Verlust wahrer Erfahrung. In ihr ist beides vermittelt: Die Defizienz metaphysischer Erfahrung und die Absenz des in ihr zu Erfahrenden. Das zeigt die Passage aus


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