- 85 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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     Hartmuth Kinzler


      Zu Adornos Kritik der Zwölftontechnik Schönbergs


Eine nähere Charakterisierung des Begriffs Zwölftontechnik 1) durch den Namen Schönberg schließt Mehrdeutigkeiten noch nicht gänzlich aus: gemeint sein kann sowohl dessen Verfahren einer Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen 2) im Unterschied etwa zur Technik eines Joseph Matthias Hauer wie auch die spezifische Differenz des Schönbergschen Verfahrens von dem seiner Schüler, also von den Anwendungsformen der Technik Bergs oder Weberns, ja selbst bei expliziter Beschränkung auf die Vorgehensweise des Schulhauptes bliebe dabei noch offen, auf welches Stadium der Entwicklung der kompositorischen Technik Bezug genommen wird. Zu all diesen verschiedenen Erscheinungsformen von Zwölftontechnik liegen mehr oder minder umfangreiche Äußerungen Adornos vor; sie reichen gattungsmäßig von der Kritik einer Einzelkomposition, die sich ihrer bedient, über monographische Aufsätze und Lexikonartikel zur Kompositionstechnik selbst bis hin zu jener ausführlichen Abhandlung, die den zentralen Komplex des Schönberg-Teils seines Buches "Philosophie der Neuen Musik" 3) bildet.


Sieht man einmal von jenen über Adornos gesamtes schriftstellerisches Oeuvre verbreiteten kürzeren Einzelbemerkungen ab, in denen die Zwölftontechnik in den verschiedensten soziologischen und ästhetischen Zusammenhängen gewöhnlich als konkretes Beispiel allgemeinerer abstrakter Erwägungen - etwa solcher über Kunst und Rationalität - herangezogen wird, so findet sich die vielleicht komprimierteste Form einer Darstellung von Adornos wesentlichen Ideen zur Schönbergschen Zwölftontechnik in einem Text, der sich nur mittelbar mit Schönberg befaßt, nämlich in einer der beiden Kompositionskritiken Adornos, die sich mit Hauers Werken auseinandersetzen (von einer Konzertkritik abgesehen, übrigens seiner einzigen längeren Ausführung zu diesem Komponisten 4)). Im Augustheft der Zeitschrift "Die Musik" aus dem Jahre 1929 heißt es aus Anlaß einer Besprechung von dessen "Hölderlin-Liedern" op. 23: "Hauer gilt heute weithin als Urheber (der Zwölftontechnik), und Schönbergs gegenwärtige Verfahrungsweise wird mit dem gleichen Namen bedacht wie Hauers Komponiermethode. Ohne daß die Prioritätsfrage aufgeworfen werden soll, muß jedenfalls sachlich das Recht solcher Identifikation bestritten werden. Schönbergs Zwölftontechnik ist die äußerste rationale Kristallisation von innertechnischen Erfahrungen, die sich unter dem geschichtlichen Zwang der Dialektik in Schönbergs Werk gebildet haben." 5) Welche innertechnischen Erfahrungen, welche Bewegungen des Materials dies sind, die zur Zwölftontechnik drängten, wird von Adorno sogleich angeführt: Die Zwölftontechnik "stammt einmal vom Prinzip des Stufenreichtums her, den (Schönberg) der qualitätslosen Chromatik entgegen stellte und der die Wiederholung des gleichen Tones im Baß erst und dann insgesamt fortschreitend ausschließt, solange nicht die fehlenden Töne des Chromas als Stufen selbständig eingetreten sind; weiter von Schönbergs "Variationstechnik", die das gesamte Material 6) mit motivischthematischen Beziehungen durchformt, ohne eine freie Note zu lassen, ohne aber auch das Dagewesene offen zu wiederholen. Nach der Emanzipation von der Tonalität haben sich jene Prinzipien derart statuiert, daß sie das kompositorische Material durchdrin-


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