- 86 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (85)Nächste Seite (87) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



gen, ehe mit dessen evidenter Gestaltung nur erst begonnen wird; sind also nicht etwa als Ersatz der Tonalität anzusprechen, sondern es bedeutet ihre Verwendung eine Reinigung des kompositorischen Materials von den Resten des bloß Organischen, nach dessen Tilgung erst das Komponieren in Freiheit beginnt. So ist die Schönbergsche Zwölftontechnik niemals geschichtsfreies Komponieren, sondern legitimiert sich allein durch den dialektischen Aufbau seines gesamten oeuvres." 7) (Eine stilistische Anmerkung sei zwischengeschoben, die Kritik an Adornos geschichtsphilosophischer Konstruktion anmeldet: Die Not, empirisch jene von Adorno behauptete Ausdehnung des Tonwiederholungsverbotes von der Baßstimme aus auf die übrigen Stimmen des mehrstimmigen Satzes - das: "im Baß erst und dann insgesamt" - belegen zu können, hat ihr Äquivalent in der verschämt-versteckten Stelle im Satzbau des entsprechenden Textabschnittes. 8))


Vor der Kontrastfolie einer solch positiven Bewertung der Schönbergschen Zwölftontechnik setzt Adorno dann zur eigentlichen - hier allerdings nicht weiter interessierenden - Kritik an den Liedern Hauers bzw. dessen Zwölftontechnik an. Ein weiterer kurzer Ausschnitt aus jener Hölderlin-Lieder-Rezension sei noch angeführt, da er ebenfalls auf Schönberg Bezug nimmt und darüberhinaus den bislang gewahrten immanentmusikalischen Begriffsrahmen wertend und deutend überschreitet. Es heißt da: "Allein der konkrete Beziehungsreichtum der Schönbergschen Technik sollte gegenüber der dürftigen Primitivität des Hauerschen Verfahrens jeden Vergleich ausschließen - auch dann, wenn man geneigt wäre, jene Hauersche Primitivität als archaisch und mythisch zu bestaunen, während doch jedenfalls Schönbergs sprengende und erhellende Musik Todfeind aller bloß beharrenden Mythologie ist." 9)


Die Ausführlichkeit, mit der hier eine eher peripher erscheinende Kritik zitiert wird, rechtfertigt sich dadurch, daß in ihr in nuce der zentrale Argumentationsgang in seinen wesentlichen Elementen vorgezeichnet ist, der später auch in der "Philosophie der Neuen Musik" das Schönberg-Kapitel bestimmen wird. Ein wesentlicher Unterschied aber zu dem wenig mehr als zehn Jahre später Geschriebenen - die Niederschrift jenes Kapitels erfolgte im Winter 1940/41 - besteht jedoch in der Einschätzung dessen, was Adorno als Rationalität bezeichnete: aus der "rationalen Kristallisation", der "erhellenden Musik", die - wie es an anderer Stelle, aber ebenfalls noch im Jahre 1929 heißt 10) - in "einer geschichtlichen Stufe (komponiert wird), auf der das Bewußtsein das Naturmaterial in die Gewalt nimmt, seinen dumpfen Zwang tilgt, ordnend benennt, und erhellt ganz und gar", wird etwas, für das Formeln stehen wie "Mißlingen des technischen Kunstwerkes" 11), "Umschlag in Unfreiheit" 12), wird schließlich die Einsicht, daß das Subjekt, das "über die Musik (gebietet) durchs rationale System, (...) selber dem rationalen System (erliegt)." 13)


Auch wenn man in Rechnung stellt, daß jene forciert positive Einschätzung rationaler Vorgehensweise in der Musik zu Beginn der 30er Jahre möglicherweise durch apologetische Motive mitbestimmt war - eine Einschätzung der Zwölftontechnik als eine weitere Stufe des Rationalisierungsprozesses der Musik, im Anschluß an jenen in Max Webers musiksoziologischem Fragment entwickelten, 14) diesen gewissermaßen fortsetzend in den Bereich auch der


Erste Seite (1) Vorherige Seite (85)Nächste Seite (87) Letzte Seite (186)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 86 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften