- 88 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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anhand eines einzelnen Beispiels mögliche Zusammenhänge zu verdeutlichen, die zu jener kritischen Position der Zwölftontechnik gegenüber führten, wie sie die "Philosophie der Neuen Musik" bestimmt und die später - dies nebenbei - wieder etwas abgemildert, wenn auch nicht gänzlich revidiert wurde. Dazu sei von einem einzelnen Satz aus der "Philosophie der Neuen Musik" ausgegangen, der eine konkrete Tatsachenbehauptung einschließt; diese Behauptung wird auf ihren Stellenwert innerhalb der Argumentationskette des Schönberg-Kapitels interpretiert und mit den musikalischen Sachverhalten konfrontiert; diese Sachverhalte werden sodann näher betrachtet und einer erneuten Interpretation unterzogen, die dann mit derjenigen Adornos kontrastiert wird.


Der fragliche Satz lautet: "Man braucht nur beliebige Zusammenklänge oder gar harmonische Folgen aus Zwölftonkompositionen - ein krasses Beispiel harmonischen Steckenbleibens findet sich im langsamen Satz von Schönbergs Viertem Quartett Takt 636/637 - mit einer echt harmonisch ausgehörten Stelle freier Atonalität - etwa `Erwartung' Takt 196ff. - zu vergleichen, um der Zufälligkeit, des bloßen sich so Fügens der Zwölftonharmonik gewahr zu werden." 21) Dieser Satz ist beispielhafte Konkretisierung des ihm vorausgehenden Satzes, daß in der Zwölftonkomposition "die Harmonien lediglich aus dem (folgen), was sich in den Stimmen abspielt, und von sich aus keinen spezifischen Sinn (ergeben)." Wie nun ein solcher harmonischer Sinn aussehen könnte, wird von Adorno weiter oben angeführt: "Das Gesetz der Vertikdimension (...) darf das der komplementären Harmonik heißen", worunter Adorno den Niederschlag jener Erfahrung des "experimentierenden Ohrs" versteht, "daß jeder einzelne der komplexen Klänge grundsätzlich zur sei's gleichzeitigen, sei's sukzessiven Ergänzung diejenigen Töne der chromatischen Skala verlangt, die in ihm selber nicht vorkommen." 22) Diese "Logik" der Harmonik, die sich - man beachte - auf die Hörerfahrung Adornos stützen muß, da für sie keine allgemein anerkannten Theorieregeln angeführt werden können, 23) und die von Adornos positivem Gegenbeispiel aus der "Erwartung" im wesentlichen eingehalten wird, wie man anhand des Notenbeispiels leicht überprüfen kann, werde von der Zwölftontechnik paralysiert, da - so die Begründung -"das Kompositionsprinzip des `Zusammenklappens' der Reihentöne zu Simultanklängen befiehlt, daß jeder einzelne Ton sich als Reihenton sowohl horizontal wie vertikal ausweise. Das macht das Komplementärverhältnis zum seltenen Glücksfall." 24) Mit anderen Worten, "das `Triebleben der Klänge' ist unterdrückt", und schlimmer noch: "Allenthalben ergeben sich ohne den Willen des Komponisten tonale Einschläge von der Art, wie sie die wache Kritik der freien Atonalität ausschalten konnte." 25)


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