- 87 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Kompositionstechnik -, so ist doch insgesamt ein Wandel in jenem Jahrzehnt bis zur Niederschrift des Schönberg-Kapitels unübersehbar: Adornos Einschätzungen der Möglichkeiten von Rationalität, Aufklärung und Erhellung namentlich im Bereich gesellschaftlicher Empirie hat sich aufgrund der politischen Ereignisse - nicht zuletzt auch infolge des kulturellen Schocks, den der europäische Emigrant in den Vereinigten Staaten wohl erlitten haben muß - nahezu ins Gegenteil verkehrt; der Aspekt, daß Aufklärung in Mythologie zurückschlagen kann - zentraler Aspekt des gemeinsam mit Max Horkheimer nur wenig später geschriebenen Buches "Dialektik der Aufklärung" 15) -, wird nunmehr unterstrichen und auch auf Musik und ihre Dialektik angewendet.


Aber nicht nur der Wandel in der Einschätzung von Rationalität im allgemeinen, von gesellschaftlichem Prozeß, also die philosophische Position der "Dialektik der Aufklärung", war bestimmend für die Neubewertung dessen, was Zwölftontechnik bewirkt, auch die Werke, die unter Verwendung dieser Technik in der Zwischenzeit entstanden und für Adorno relevant waren - insbesondere Schönbergs Violinkonzert und dessen Forth String Quartet, Weberns Klaviervariationen und sein Quartett op. 28 - und deren musikalische Strukturen, ihre Kräftefelder, von Adorno philosophisch interpretiert, waren nicht mit jener positiven Erwartung aus den frühen 30er Jahren zur Deckung zu bringen; entsprechend dann Adornos Deutungen: Schönberg müsse - so die Formulierung - "die Reihe vergewaltigen" 16), bei Webern werde der "Fetischismus der Reihe eklatant" 17) und überhaupt "die Spontaneität der avancierten Komponisten (gelähmt)." 18) (Vermittelnd zwischen allgemeinem gesellschaftlichem Bereich und dem der musikalischen Produktion steht der Bereich Reproduktion und Konsum; in ihm diagnostiziert Adorno die "allherrschende Verdinglichung" in jener Abhandlung über den "Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens" 19), die auch chronologisch-ideengeschichtlich zwischen der Position Anfang der 30er Jahre und Anfang der 40er Jahre vermittelt.)


Als drittes schließlich wird Adornos eigene kompositorische Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik bestimmend für das, was argumentativ in der "Philosophie der Neuen Musik" als Kritik dieser Technik ihren Niederschlag findet 20): Ob jemand sich als Analysant einer Kompositionstechnik nähert oder ob er - und sei es quantitativ noch so unerheblich - sich als Komponist ihrer bedient, kann eine gänzlich unterschiedliche Perspektive bedeuten; naheliegend, daß die eigenen kompositorischen Probleme dann auf fremde Werke projiziert werden, Probleme, die sich den Urhebern jener Kompositionen in dieser Form möglicherweise gar nie gestellt haben.


Daß diese drei Komponenten, die Entwicklung von Adornos allgemein philosophischer Position, die sich nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit Horkheimer bildete, einerseits, die spezifische Entwicklung, die die Zwölftontechnik in ihrer kurzen Geschichte nahm, andererseits und schließlich die Entwicklung von Adornos kompositorischen und analytischen Kategorien durch den praktischen Umgang mit der Technik zwölftönigen Komponierens sich wechselseitig beeinflußten und im nachhinein vermutlich analytisch kaum mehr säuberlich voneinander trennbar sind, braucht nicht eigens hervorgehoben zu werden; dennoch sei versucht,


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