- 92 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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selbst: Aus der Quart der Hauptstimme wird eine Quint, deren kleine Terz zur großen, während die Nebenstimme - die 1. Violine - von einer Dreiklangsbrechung zu einem Leiterausschnitt verändert wird; ansonsten herrscht - von der Baßstimme abgesehen - strengste, auch rhythmische Identität.


Notenbeispiel 3 Schönberg, Forth String Quartet Skizzen, Thementafel A 21 (= Takt 630-635)




Diese strukturelle Entsprechung zwischen Takt 636 und dem ihm folgenden lassen es als sicher erscheinen, daß Schönbergs Intention des musikalischen Zusammenhangs der zwei Takte eben in der Idee einer minimal veränderten Wiederholung gelegen hat, also nicht etwa in der eines abrupten Kontrastes 31) oder der einer variierten Wiederholung, wie sie beispielsweise im Verhältnis der Takte 630 - 632 zu 633 - 635 zu beobachten ist. Die Abbildung dieser 6 Takte basiert auf einer Thementafel aus Schönbergs Skizzen 32); diese sehr frühe Fassung weicht nur geringfügig von der späteren gedruckten ab (worauf noch eingegangen werden wird). Minimal ist die Veränderung von Takt 636 auf 637 nicht nur im Vergleich zu entsprechenden musikalischen Verläufen innerhalb von anderen Werken, minimal ist sie auch im Vergleich mit der übrigen, diese Stelle umgebenden Faktur. (Daß der Schönberg etwa der Periode der freien Atonalität und des expressionistischen Ausbruchs eine solch "ordentliche" und nur gering variierte Wiederholung wohl kaum geschrieben hätte, steht auf einem anderen Blatt als dem der Folgeerscheinungen der Zwölftontechnik.)


Wenn nun angenommen werden kann, daß die Idee des kompositorischen Verlaufs hier bewußt die Gestaltung eines minimalen Unterschiedes gewesen war, liegt es nahe, daß Schönberg sich über diese Unterschiede im klaren war und sie seiner kontrollierenden Selbstkritik unterworfen hat. In diese Richtung deutet auch, daß die Bratschenstimme tonhöhenmäßig beim Übergang von Takt 636 zu 637 nicht geändert wurde - hätte Schönberg der harmonische Verlauf unbefriedigt gelassen, so wäre eine Korrektur - etwa im Sinne der Komplementärharmonik 33) - leicht gewesen, indem beispielsweise der zweite Takt in anderer Transposition gehalten oder indem die Tonhöhen der Bratsche mit den letzten drei Tönen der Hauptstimme vertauscht worden wären. (Anzunehmen ist vielmehr, daß der Kristallisationspunkt der Erfindung jener Takte eben die Idee der "Liegestimme" in der Bratsche war.)


Diese Überlegungen, das sei eigens betont, bewegen sich nicht im Bereich "vor" der eigentlichen Zwölftonanalyse der betreffenden Stelle, was von einiger Bedeutung ist, da angenommen werden muß, daß Adorno eine solche Analyse selbst nicht durchgeführt haben


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