- 93 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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wird. (Eine Behauptung, die sich der Gefahr aussetzt, durch Auffinden entsprechenden Materials widerlegt zu werden, die sich allerdings auf eine Aussage Adornos stützen kann. Im Zusammenhang mit einer Wiederveröffentlichung eines Aufsatzes über Schönbergs Bläserquintett 34) distanziert er sich explizit von solch niederem Tun, wie es vor allem in der Webern-Analyse in Dissertationen später üblich und übel wurde. Es heißt da bei Adorno - in Abwehr einer Unterstellung Schönbergs, der `Wiesengrund' habe sich dieses musikalischen Fliegenbeinzählens schuldig gemacht - : "Tatsächlich war der Autor stets desinteressiert am Reihen-Zählen." 35)


Im übrigen - dies sei exkursartig ausgeführt - spricht die genaue Zwölftonanalyse wie auch der Befund des Skizzenmaterials ebenfalls dafür, daß die geringfügig variierte Wiederholung intendierter musikalischer Sinn war: Reihentechnische Grundlage der beiden Takte ist Grundreihe von C und die Krebsumkehrung von As bzw. Gis aus, oder - in Schönbergs eigener Terminologie in der Adorno höchstwahrscheinlich unbekannten Reihentabelle - der Reihen B - 7 und I + 6 K (B steht für "basic" - Grundreihe - und I für "inversion" - Umkehrung). Beide Reihen stehen in der Reihentabelle 36) in der 10. Zeile nebeneinander und weisen - über die Eigenschaft der "combinatoriality" hinaus - noch eine Gemeinsamkeit der Töne 1 bis 3 der Grundreihe mit dem 3. bis 5. Ton der Krebsumkehrung auf, und zwar - in der fraglichen Transpositionsstufe - die Töne C, H und A, was - wie bereits angedeutet - vermutlich auch der Ausgangspunkt der Konstruktion des Taktpaares war, das die Gemeinsamkeit der Töne durch Beibehaltung der Figur und das überdeutliche satztechnische Mittel des Ostinatos unterstreicht. Ein weiteres Indiz eben hierfür: Die Tongemeinsamkeiten von Reihenhälften, speziell des ersten Hexachordes der Grundreihe mit den entsprechenden der verschiedenen Transpositionen der Umkehrungsreihe, sind expliziter Gegenstand einer systematischen Erforschung in Schönbergs Skizze A 30; mit anderen Worten, diese Art, Konstruktionsmöglichkeiten der spezifischen, dem Werk zugrundegelegten Reihe zu erkunden, lassen die obige Hypothese zur Entstehung des Taktpaares plausibel erscheinen. (Nach Adorno zählt der Rechenfehler zur Ontologie der Zwölftontechnik - Schönberg hat sich in jener Skizze ein wenig vertan, unterm Strich jedoch bleibt seine Zahlenaufstellung richtig.) Gerade aber die "Liegestimme" - auch als intendierte und von Schönberg absichtsvoll ins Werk übernommene - erklärt Adornos harmonisches Unbefriedigtsein.


Weiters nun ist doch auffällig, daß jene frühe Thementafel, die die 6 vorausgehenden Takte in einer Vorform notiert und von der endgültigen Fassung geringfügig abweicht, eine Abweichung von der strengen Anwendung der Zwölftonreihe enthält: Die unterste Stimme lautet im letzten Takt - also dem späteren Takt 635 -: "F"-"Fis" statt regulär "Fis"-"F". Dies mag damit zusammenhängen, daß die Mittelstimme desselben Taktes, die zweimalige Sekunde "e 1"-"d 1", in der zweiten Takthälfte zusammen mit der Oberstimme und der Baßstimme einen Dominantseptakkord (4. Achtel, Takt 635: "Fis", "b" (= "ais"), "e") und einen Durquartsextakkord (5. und 6. Achtel: "F", "b", "d 1") ergeben hätte. Durch die Vertauschung ist jene "tonale" Wirkung - vor allem durch die Dissonanz "F"-"e 1" - paralysiert. Da nun aber noch immer ein übermäßiger Dreiklang resultiert und überdies die Wiederholung


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