Sektor kognitiver Fähigkeiten besonders begabt war, anzunehmen auch, daß Adornos Fähigkeiten in anderen Sektoren - im sprachlich-begrifflichen Bereich etwa - lagen. 48) Um einen Vergleich mit dem Schachspiel heranzuziehen 49): In der konkret zu erbringenden Leistung, nämlich nach Möglichkeit zu gewinnen, denkt der Anfänger in gänzlich anderen Kategorien als der Routinier oder gar der Großmeister - jener tut sich schwer, auch nur wenige Züge zu durchdenken, empfindet Schachspiel als Mathematik, während der Erfahrene kaum mehr in Einzelzügen, sondern in strategischen, übergeordneten Kategorien agiert. Entsprechend fällt die Einschätzung der Schwierigkeiten des Schachspiels aus.

Untersucht man - um wieder zur Musik zurückzukommen - die Zwölftonkompositionen Adornos, so fällt eine gewisse Simplizität, auch - verglichen mit Schönberg - Unerfahrenheit in der Reihenbehandlung auf: Sowohl in der zwölftönig streng gehandhabten 6. Bagatelle aus dem Zyklus "Sechs Bagatellen für Singstimme und Klavier op. 6" nach einem Gedicht von Hölderlin aus dem Jahre 1934 wie auch in dem George-Lied op. 7, Nr. 4 aus dem Jahre 1944, das nach der Niederschrift des Schönberg-Kapitels entstand und gewisse Freiheiten in der Handhabung der Zwölftontechnik aufweist, verwendet Adorno ausschließlich die 4 Grundreihen ohne jegliche Transpositionen. 50) (In den Notenbeispielen bedeuten die einfachen Zahlen die Grundreihe - bzw. bei rückläufiger Folge den Krebs -, die mit Kreuzen versehenen die Umkehrungs- bzw. Krebsumkehrungsreihe; im Notenbeispiel aus dem Quartett jedoch beziehen sich die Zahlen auf die ebenfalls dort angegebenen Transpositionsstufen.)

Notenbeispiel 4 Adorno, Sechs Bagatellen für Singstimme und Klavier op. 6 Nr. 6 An Zimmern (Friedrich Hölderlin), Takt 1-8