- 15 -Weyde, Tillman: Lern- und wissensbasierte Analyse von Rhythmen 
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Der Versuch, kohärente und konsistente musiktheoretische Systeme zu entwickeln, führte bei den Theoretikern des neunzehnten Jahrhunderts zum Aufbau von Theorien, die zwar begrifflich kohärent waren, sich aber nur mit Mühe auf die musikalische Wirklichkeit anwenden ließen. Vor allem die Betrachtung moderner oder außereuropäischer Musik verdeutlicht, daß diese Systeme in zweierlei Hinsicht normativ waren: Sie beschreiben eben nicht Gesetze der Musik an sich, sondern Eigenschaften eines bestimmten Stils. Meist handelte es sich um die Wiener Klassik, und selbst hier wurden an Beispielen theoretische Konstrukte vorgestellt, deren Gültigkeit oder Verallgemeinerbarkeit auch in diesem stilistischen Bereich kaum als gesichert angesehen werden kann.

2.2.3.  Gegenstände und Methoden

Gegenstand musiktheoretischer Untersuchungen ist meist eine notierte Komposition. Die musikalische Notation ist eine in jahrhundertealter Tradition entwickelte Form, Musik für die klingende Ausführung festzuhalten. Sie bedarf aber der Ausführung durch Musiker oder Apparate, um zu klingender Musik zu werden. Spätestens seit es Computer gibt, die Musik mit hoher Genauigkeit abspielen können, hat sich gezeigt, daß die rhythmische Umsetzung des Notentextes nach gleichmäßigen Schlägen und deren Unterteilungen nicht ausreicht, um ein musikalisch ansprechendes oder auch nur akzeptables Ergebnis zu erhalten. Die Interpretation durch einen Musiker unterscheidet sich nicht nur zufällig, sondern auch substantiell von der sogenannten ›mechanischen‹ Ausführung.19

Es wurde häufig übersehen, daß die ästhetisch zentrale Form von Musik die klingende Realisierung und ihre Wahrnehmung ist. Gerade rhythmische Feinheiten, die für die Wirkung der Musik von großer Bedeutung sind, werden aber in Noten nicht fixiert.

In unserer Notenschrift wird der Rhythmus auf der Basis eines Metrums dargestellt, dem Hörer ist aber das notierte Metrum meist nicht bekannt, es sei denn, er liest den Notentext oder sieht den Dirigenten. Der Hörer bildet das Metrum aus den gehörten Ereignissen. In der westlichen Notation sind Rhythmus und Metrum so eng verbunden, daß deren Trennung in der Musiktheorie meist nicht durchgehalten wird, auch wenn sie, wie etwa bei Riemann, als richtig anerkannt wird.20

Die Mehrzahl musiktheoretischer Arbeiten formuliert Theorien oder spezielle Beobachtungen ausgehend von Notentexten und basierend auf der Introspektion der Autoren. Der Ansatz der Introspektion wurde bereits bei Rameau beschrieben21

21 Vgl. Pischner (1967, S. 81f.).

und auch mehr als 120 Jahre später heißt es bei Riemann:

»Man muß diese Klangfolgen samt und sonders mit seinen eigenen Ohren prüfen und [...] Ton-und Klangvorstellungen [...] durchdenken [...] . [Durch] gewissenhafte Selbstbeobachtung während des Denkens können dann die Gesetzmäßigkeiten gefunden werden.«22

22 Riemann (1877, S. 23).


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