- 204 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Gerade Kinder können mit den Symbolen binnen Minuten rhythmische Zusammenhänge von hohem Schwierigkeitsgrad lesen, ausführen und verstehen. Mit den Rhythmoglyphen ist es möglich, das rhythmische Gehör und Gefühl in einer logischen, additiven Weise zu schulen und zu bilden. (S. 117).

Es stellt sich die Frage, warum die Schulung des Gehörs und des Gefühls über die abstrakte, visuelle Ebene geschehen soll. Noch dazu überbietet Gigers System die herkömmliche Notation noch an Abstraktion, denn wo in der Notenschrift wenigstens für jedes Klangereignis ein Notenkopf steht (außer bei Überbindungen), bietet beispielsweise der Kreis keinerlei Anhaltspunkte für die Zahl der Aktionen. Zwar bilden die Zeichen die Anzahl der Klänge zumindest verschlüsselt ab (z. B. zwei Striche im Kreuz, drei im Dreieck usw.), doch die immer hinzuzufügende Pause ist nicht visualisiert. Im Abschnitt 6.3.1 war dargestellt worden, wie Kinder (oder Erwachsene ohne Kenntnis der traditionellen Notenschrift) Rhythmen notieren. Auf allen Entwicklungsstufen entspricht dort ein Klangereignis auch einem Zeichen auf dem Papier. Dieses ist bei Gigers Rhythmoglyphen nicht der Fall. Somit ist mehr als fraglich, ob diese Art der Notierung dem Bedürfnis nach Anschaulichkeit gerecht wird. Letztlich reduziert Giger – trotz gegenteiliger Beteuerungen – Rhythmus auf dessen intellektuelle Verarbeitung. Körperbezogenen, sensorischen oder emotionalen Aspekten im Umgang mit Rhythmen bietet er kaum Anregungen.

8.7.3.  Weitere methodische Ansätze

Urich Moritz: Über die Improvisation zum Rhythmus

Urich Moritz sieht einen wertvollen Zugang zu rhythmischen Fertigkeiten in der Improvisation. Er stellt seinen Überlegungen zum Rhythmus einige sehr treffende Gedanken voraus:

Rhythmus ist etwas, was man machen, und nicht etwas, worüber man schreiben sollte! In der Praxis – beim Musizieren und auch in der Unterrichtssituation – greifen Planung und Intuition, Aktion und Reaktion, Bewegen, Hören, Fühlen und Denken meist mit Leichtigkeit ineinander. Bewegungsabläufe, Haltungen, rhythmische Zusammenhänge, Wirkungen in Worte zu kleiden, also diese vielfältige Einheit zu sezieren und zu analysieren, scheint mir ungleich mühsamer und einem ›Groove‹-Gefühl, also einer körperlichen und mentalen Hingabe an Rhythmus, eigentlich wesensfremd. (Moritz 2001, S. 6).

Dieses Zitat umfasst Aspekte von Physiologie, Psychologie, Motorik, Sensorik, Intuition und Kognition, die – einschließlich ihrer Verwobenheit – in der vorliegenden Arbeit dargelegt wurden.

Wenn Moritz für das Lernen von rhythmisch-metrischen Fertigkeiten formuliert »Eine besondere Rolle spielen dabei die Möglichkeiten und Anreize zur Bewegung (klettern, rennen, balancieren, werfen und fangen, tanzen etc.) und zur Raumerkundung im und außer Haus.« (Moritz 2001, S. 8), deckt sich dies mit der Erkenntnis, dass ein ausreichendes Angebot differenzierter Bewegungsmöglichkeit ein grundlegender Schritt auf dem Weg zu rhythmisch-metrischer Stabilität ist (vgl. Abschnitt 8.2.1).


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