- 51 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (50)Nächste Seite (52) Letzte Seite (202)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

5.  Zusammenfassung und Fragestellungen

Aufgrund der bisherigen Ausführungen ist davon auszugehen, dass musikalische Klangvorstellungen mit motorischen Prozessen im Stimmapparat einhergehen. Die artikulatorischen Interferenzstudien deuten darauf hin, dass es sich bei den Muskelbewegungen wahrscheinlich nicht um eine allgemeine Begleiterscheinung der Kognition in Form von bedeutungslosen Automatismen oder Reflexen handelt, da die musikalische Gedächtnisleistung in vielen Studien durch eine Störvariable beeinträchtigt wurde. Legt man weiter zugrunde, dass die beschriebenen Interferenzeffekte nicht ausschließlich auf die kognitive Belastung durch Doppelaufgaben zurückzuführen sind, so müssen motorische Prozesse bei der Speicherung bzw. beim Abruf von Gedächtnisinhalten eine Funktion erfüllen. Da ebenfalls anzunehmen ist, dass musikalische Klangvorstellungen nicht allein durch Muskelbewegungen hervorgerufen werden (siehe Theoretischer Hintergrund, insbesondere Kapitel 4.2 auf Seite 44 ff.) verbleiben im wesentlichen zwei Bedeutungstheorien:

  • Motorische Prozesse bilden Teil eines durch Erfahrung individuell geprägten multimodalen sensomotorischen Vorstellungsbildes. Die Klangvorstellung desselben Musikstücks kann sich von Mensch zu Mensch hinsichtlich ihrer auditiven, visuellen, motorisch-kinästhetischen usw. Komponenten unterscheiden. In diesem Fall könnte es Menschen geben, bei denen motorische Prozesse stärker oder schwächer als bei anderen ausfallen ohne dass dies in Zusammenhang mit der Qualität ihrer Klangvorstellung insgesamt zu bringen wäre. Dieser Theorieansatz wird im Folgenden sensomotorische Repräsentationstheorie genannt.
  • Motorische Prozesse bilden Teil einer Simulation. Die Muskelbewegungen haben hier die Funktion z. B. Aspekte der Tonhöhe oder des Rhythmus kinästhetisch nachzubilden und im Kurzzeitgedächtnis aufrechtzuerhalten bzw. aus dem Langzeitgedächtnis zu rekonstruieren. Möglicherweise dienen sie auch der Kompensation einer unzureichenden klanglichen Vorstellung. In beiden Fällen wäre z. B. ein Zusammenhang zwischen der Kehlkopfaktivität und dem Abschneiden in einem Melodiegedächtnistest zu vermuten. Dieser Theorieansatz wird im Folgenden als Simulationstheorie bezeichnet.

Daraus ergeben sich folgende empirisch zu untersuchende Fragestellungen:

1.
Gibt es Menschen, die Klang rein auditiv (d. h. ohne physiologisch messbare Muskelbewegungen im Stimmapparat) repräsentieren?
2.
Gibt es musikalische Klangvorstellungen, die nicht mit Kehlkopfbewegungen einhergehen? So wurde von einigen oben zitierten Wissenschaftlern und Musikern die Vermutung geäußert, dass unmittelbar zuvor gehörte musikalische Strukturen ohne »inneres Singen« vorgestellt werden können.
3.
Gibt es musikalische Klangvorstellungen, die mit besonders ausgeprägten Kehlkopfbewegungen einhergehen (z. B. vertraute oder unvertraute bzw. einstimmige oder mehrstimmige Melodien)?

Erste Seite (i) Vorherige Seite (50)Nächste Seite (52) Letzte Seite (202)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 51 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen