5. Zusammenfassung und Fragestellungen
Aufgrund der bisherigen Ausführungen ist davon auszugehen, dass musikalische
Klangvorstellungen mit motorischen Prozessen im Stimmapparat einhergehen.
Die artikulatorischen Interferenzstudien deuten darauf hin, dass es sich bei den
Muskelbewegungen wahrscheinlich nicht um eine allgemeine Begleiterscheinung der
Kognition in Form von bedeutungslosen Automatismen oder Reflexen handelt, da die
musikalische Gedächtnisleistung in vielen Studien durch eine Störvariable beeinträchtigt
wurde. Legt man weiter zugrunde, dass die beschriebenen Interferenzeffekte nicht
ausschließlich auf die kognitive Belastung durch Doppelaufgaben zurückzuführen sind, so
müssen motorische Prozesse bei der Speicherung bzw. beim Abruf von Gedächtnisinhalten
eine Funktion erfüllen. Da ebenfalls anzunehmen ist, dass musikalische Klangvorstellungen
nicht allein durch Muskelbewegungen hervorgerufen werden (siehe Theoretischer
Hintergrund, insbesondere Kapitel 4.2 auf Seite 44 ff.) verbleiben im wesentlichen zwei
Bedeutungstheorien:
- Motorische Prozesse bilden Teil eines durch Erfahrung individuell geprägten
multimodalen sensomotorischen Vorstellungsbildes. Die Klangvorstellung desselben
Musikstücks kann sich von Mensch zu Mensch hinsichtlich ihrer auditiven, visuellen,
motorisch-kinästhetischen usw. Komponenten unterscheiden. In diesem Fall könnte es
Menschen geben, bei denen motorische Prozesse stärker oder schwächer als bei anderen
ausfallen ohne dass dies in Zusammenhang mit der Qualität ihrer Klangvorstellung
insgesamt zu bringen wäre. Dieser Theorieansatz wird im Folgenden sensomotorische
Repräsentationstheorie genannt.
- Motorische Prozesse bilden Teil einer Simulation. Die Muskelbewegungen haben hier
die Funktion z. B. Aspekte der Tonhöhe oder des Rhythmus kinästhetisch nachzubilden
und im Kurzzeitgedächtnis aufrechtzuerhalten bzw. aus dem Langzeitgedächtnis zu
rekonstruieren. Möglicherweise dienen sie auch der Kompensation einer unzureichenden
klanglichen Vorstellung. In beiden Fällen wäre z. B. ein Zusammenhang zwischen der
Kehlkopfaktivität und dem Abschneiden in einem Melodiegedächtnistest zu vermuten.
Dieser Theorieansatz wird im Folgenden als Simulationstheorie bezeichnet.
Daraus ergeben sich folgende empirisch zu untersuchende Fragestellungen:
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1.
- Gibt es Menschen, die Klang rein auditiv (d. h. ohne physiologisch messbare
Muskelbewegungen im Stimmapparat) repräsentieren?
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2.
- Gibt es musikalische Klangvorstellungen, die nicht mit Kehlkopfbewegungen
einhergehen? So wurde von einigen oben zitierten Wissenschaftlern und Musikern die
Vermutung geäußert, dass unmittelbar zuvor gehörte musikalische Strukturen ohne
»inneres Singen« vorgestellt werden können.
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3.
- Gibt es musikalische Klangvorstellungen, die mit besonders
ausgeprägten Kehlkopfbewegungen einhergehen (z. B. vertraute oder unvertraute bzw.
einstimmige oder mehrstimmige Melodien)?
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