- 173 -Hinz, Christophe: Analyse und Performance mit der Software RUBATO 
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14.1.2.  Etüde Nr. 12

Im Gegensatz zu der anderen Etüde wird hier von Rubato an den meisten wichtigen Stellen eine Verformung des Notentextes vorgenommen, die oft Auswirkungen auf den agogischen Verlauf hat. Die riesigen Spannungsbögen von T. 31–44, die beiden Takte vor der Rückkehr des Themas, die Vorbereitung der Dominante in T. 65–66 sowie die Schlusstakte können als besonders gelungen betrachtet werden.

In der synthetisierten Performance liegt das Grundtempo etwa bei  = 76 (wie bei Lugansky und Pollini); allerdings wird es im mittleren Teil stark angezogen, und übertrifft dort sogar das schon virtuose  = 80 von Sokolov. Dieses Merkmal ist auch bei drei der Pianisten festgestellt worden, allerdings in einer milderen Form. Auch die Schlusstakte besitzen gewisse Ähnlichkeiten mit den herkömmlichen Einspielungen: Erstens werden sie bedeutend schneller gespielt (wo Fialkowska und Sokolov beschleunigen), und zweitens wird der letzte Akkord wie bei Lugansky, Pollini und Sokolov stark verzögert.

Vom Standpunkt der globalen Dynamik aus gesehen ist die Performance von Rubato – wie für die Etüde Nr. 11 – ziemlich gleichmäßig. Wie Abbildung 14.2 verdeutlicht, wird von Chopins Angaben nur an zwei Stellen eindeutig abgewichen. Wie schon für Luganskys Interpretation vermerkt, werden die T. 53–54 ganz ohne decrescendo gespielt. Des Weiteren wird zwischen dem mittleren Teil und der Wiederholung in T. 71 eine deutliche dynamische Fraktur hörbar, die jedoch in den analysierten Aufnahmen kein Vorbild findet. Im Vergleich zur globalen Dynamik sind schließlich die lokalen Dynamikveränderungen viel gegenwärtiger: Besonders die akzentuierten Noten in der rechten Hand sind stets deutlich hörbar und abwechslungsreich betont, was der Performance eine große Lebhaftigkeit verleiht.

14.2.  Externe Bewertung

Um ein Urteil über die Qualität der beiden synthetisierten Performances zu bekommen, das so objektiv wie möglich ist, wurden sie in einer externen Umfrage1

1 Der Fragebogen ist in seiner deutschen Fassung in Anhang B, in seiner französischen Übersetzung in Anhang C zu finden.

bewertet. Die Performances wurden ohne jegliche Erklärung bezüglich ihrer Herkunft zehn Musikern und Musikwissenschaftlern vorgelegt. Die Testgruppe setzte sich aus zwei Musikprofessoren, einem professionnellen Instrumentalisten, drei Doktoranden und vier Studenten in Musikwissenschaft zusammen. Vier waren französischsprachig, die anderen kamen aus dem deutschen Raum. Auf einer Skala von 1 bis 5 (1 = sehr stark zutreffend, 5 = überhaupt nicht zutreffend) sollten die Befragten ihr Urteil über die Aussagekräftigkeit (»Bringt sie die Struktur zum Vorschein?«), die Ausdrucksstärke (»Erweckt sie Emotionen?«) und die Stilgerechtigkeit (»Ist sie ›chopinesque‹?«) der Performances abgeben, sowie ein allgemeines Urteil über ihre Qualität fällen. Schließlich sollten auch spezifisch gelungene und misslungene Stellen sowie allgemeine Auffälligkeiten notiert werden. Tabelle 14.1 gibt die nummerischen Resultate dieser Umfrage wieder.

Allgemein betrachtet sind die Resultate der Umfrage für beide Etüden sehr ähnlich ausgefallen. Der Notendurchschnitt für die drei Hauptkriterien ist fast gleich


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