- 57 -Weyde, Tillman: Lern- und wissensbasierte Analyse von Rhythmen 
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4.  Kognition von Rhythmen

Während die empirische Musikpsychologie vorwiegend die grundlegenden Prozesse der Wahrnehmung und die Musiktheorie vor allem notierte Werke behandelt, beschäftigt sich die musikalische Kognitionsforschung mit den Strukturen, die bei der geistigen Verarbeitung, Erinnerung und Produktion von Musik eine Rolle spielen.

4.1.  Kognition von Musik

Der kognitive Ansatz in der Musikwissenschaft und Musikpsychologie versucht, Strukturen zu beschreiben, die Menschen beim Hören von Musik aufbauen, durch die sie Musik erleben, verstehen, behalten und produzieren. Bei der musikalischen Wahrnehmung, wie sie im vorigen Kapitel beschrieben wurde, handelt es sich vor allem um die erste Verarbeitung von akustischen Signalen. Die wahrgenommene Struktur wird in Abhängigkeit vom präsentierten Reiz betrachtet. Diese sog. bottom-up Sichtweise ist vor allem für die primitiven Mechanismen geeignet. Bei der Kognition geht es vorrangig um die Verarbeitung von Strukturen oberhalb der Wahrnehmungsebene, und diese wirken auch top-down, wie bereits in Abschnitt 3.3.5 angesprochen. Strukturen aus dem Kontext oder dem Gedächtnis wirken also auch auf die Wahrnehmung zurück. Die Grenze zwischen Wahrnehmung und Kognition ist allerdings nicht immer eindeutig zu ziehen, da beides eng miteinander verwoben ist.

Der Ansatz, die Strukturen des musikalischen Denkens zu untersuchen und zu beschreiben, ist zumindest implizit schon lange in der Musikwissenschaft vorhanden, etwa bei Hermann von Helmholtz, der seine »Lehre von den Tonempfindungen« als Teil einer »musikalischen Grammatik«1

sah und, wenn auch mit anderen Methoden, in Riemanns Konzept der »musikalischen Logik«.2 Nachdem in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts eine naturwissenschaftlich geprägte Entwicklung von Musiktheorie und Musikpsychologie begonnen hatte, neben Helmholtz z.B. auch durch Wundt und Bolton,3 ließ das Interesse hieran im 20. Jahrhundert zunächst nach, wie bereits in Abschnitt 2.2 und 3 erwähnt wurde.

Neben Informationstheorie, Automatentheorie und Kybernetik war es vor allem die Entwicklung von Strukturgrammatiken, sogenannten generativen Grammatiken, durch Noam Chomsky, die die Entwicklung der Kognitionsforschung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts inspirierte. Kognitive Strukturen stellten nach der Dominanz des Behaviorismus ein neues Paradigma dar, das von manchen Forschern geradezu enthusiastisch aufgenommen wurde. George A. Miller sah


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