- 4 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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Könnten wir einen mit einem schwierigen Notendiktat konfrontierten Schüler mit einer geeigneten technischen Apparatur in den Hals schauen, so würden wir in den Problemlösungsphasen sicherlich einen »tanzenden Kehlkopf« beobachten können (Behne 1988, S. 9).

Hier setzt die vorliegende Arbeit an, indem sie dieses Phänomen mit empirischen psychophysiologischen Methoden untersucht.

Ziel und Aufbau der Arbeit

Ziel der vorliegenden Dissertation ist zum einen der physiologische Nachweis der Existenz von Kehlkopfbewegungen bei Musikern und musikalischen Laien bei der klanglichen Vorstellung von Musik. Zum anderen sollen mögliche Bedeutungsaspekte solcher motorischer Prozesse im Stimmapparat für die musikalische Klangvorstellung empirisch untersucht werden.

Dieser Einleitung folgen nun vier Teile. In Teil I sollen die für die eigene psychophysiologische Untersuchung notwendigen Grundlagen geschaffen werden. Zum besseren Verständnis des komplexen Prozesses der menschlichen Stimmbildung hinsichtlich der daran beteiligten Muskeln und deren zentralnervösen Steuerung sowie zur Veranschaulichung der engen Beziehung zwischen Stimme und Klangvorstellung erfolgt deshalb zunächst ein Überblick über die Anatomie und Physiologie des menschlichen Stimmapparates (Kapitel 1).

Im Anschluss daran werden alle bisher durchgeführten physiologischen Studien, die Aussagen über motorische Prozesse im Stimmapparat bei musikalischer Klangvorstellung zulassen, vorgestellt (Kapitel 2). Aufgrund der Tatsache, dass zu diesem Thema nur einige wenige empirische Studien vorliegen, werden auch entsprechende Arbeiten aus dem wesentlich intensiver erforschten Bereich sprachbezogener Vorstellungen referiert.5

5 Dies erscheint nicht zuletzt aus folgenden Gründen gerechtfertigt: a) auch hier handelt es sich im weitesten Sinn um Vorstellungen von Klängen; b) Sprache weist ebenfalls melodische Elemente auf; c) Sprechen und Singen erfordern beide den Einsatz des Stimmapparates; d) sprachliches Rehearsal spielt bei vielen Gedächtnisprozessen eine Rolle, wie das Beispiel des mehr oder weniger lautlosen Repetierens einer zu merkenden Telefonnummer verdeutlicht. In der psychologischen Literatur finden sich für dieses Phänomen auch Bezeichnungen, wie inneres Sprechen, innere Sprache, subvokales Sprechen, Subvokalisation und verdecktes Sprechen. Auch hier geht aus den Begriffen nicht eindeutig hervor, ob es sich dabei um einen geistigen oder körperlichen Prozess handelt. Bereits Plato hatte Denken als »eine Rede, welche die Seele bei sich selbst durchgeht über dasjenige, was sie erforschen will« definiert und präzisiert: »das Vorstellen ist ein Reden, und die Vorstellung ist eine gesprochene Rede, nicht zu einem andern und mit der Stimme, sondern stillschweigend zu sich selbst« (Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie 1998, S. 2229f). John Broadus Watson, der Begründer des Behaviorismus, war dagegen von motorischen Prozessen im Stimmapparat beim Denken überzeugt (z. B. 1920).

Es folgt eine Darstellung von Theorien zur Bedeutung motorischer Prozesse im Stimmapparat bei musikalischen Klangvorstellungen (Kapitel 3). Zuerst werden hier Theorien vorgestellt, die davon ausgehen, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen motorischen Prozessen und der Kognition besteht (Kapitel 3.1).6

6 Unter Kognition werden hier nach Dorsch (1998, S. 441) »alle Vorgänge oder Strukturen, die mit dem Gewahrwerden und Erkennen zusammenhängen, wie Wahrnehmung, Erinnerung (Wiedererkennen), Vorstellung, Begriff, Gedanke, aber auch Vermutung, Erwartung, Plan und Problemlösen« verstanden.

Danach werden sogenannte motorische Theorien (motor theories) herangezogen, die

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